Liebe Leserinnen und Leser,
Selbstbestimmtes Schwangerschaftserleben und Inanspruchnahme von Pränataldiagnostik
– ein Widerspruch?
Die Pränataldiagnostik und im Besonderen die Errungenschaften der vorgeburtlichen
Sonografie sind aus der medizinischen Begleitung von Schwangeren und ihren Partnern
nicht mehr wegzudenken. Bei bestehendem Anspruch an eine somatisch sichere, psychisch
befriedigende und bewusst gestaltete Schwangerschaft erscheint ein Verzicht auf pränataldiagnostisch-qualitätsgesicherte
Schwangerschaftsüberwachung ein für viele inakzeptables Verantwortungsversäumis darzustellen.
Die detailgenaue Ultraschalldarstellung verleiht dem Ungeborenen dabei bereits zu
einem sehr frühen Zeitpunkt seiner intrauterinen Existenz einen Wirklichkeitscharakter,
welcher als vermeintlich von der werdenden Mutter unabhängige Existenz erlebt werden
kann. Der Nasciturus wird zum Baby, die Schwangerschaft zur technisch vermittelten
Mutterschaft. Mehr als 80% aller Schwangeren in Deutschland nehmen über die im Rahmen
der Mutterschaftsrichtlinien vorgesehenen Ultraschalluntersuchungen hinausgehende
sonografische Pränataldiagnostik in Anspruch. Diesen Untersuchungsansätzen ist, eng
verbunden mit den implizierten informativen Begehrlichkeiten, ein angst- und stressinduzierendes
Potenzial zu eigen. Andererseits wird die Vermittlung eines unauffälligen Befundes
als gewichtige Entlastung empfunden. Dabei vermag keine, wie auch immer geartete und
von Empathie getragene aufklärende Verbalintervention den affirmativen Effekt einer
visuellen Beziehungsaufnahme von Mutter und Kind zu überwiegen. Zur Beschreibung dieser
Zwiespältigkeit des pränataldiagnostischen Wirklichkeitskonzepts kann somit das P.
J. Reuter zugeschriebene Wort – ein Bild sagt mehr als tausend Worte – anschauliche Dienste leisten. Die Vielgestaltigkeit der Wahrnehmung vorgeburtlicher
Diagnostik ist verschiedenen Aspekten geschuldet. Emotionale Vorbedingungen und Erleben
von Pränataldiagnostik erfahren vor dem Hintergrund einer belasteten Anamnese, der
individuellen mütterlichen Informations- und Wissensbasis, aber auch der Intention
sich derartigen Maßnahmen zuzuwenden in diesem Heft wissenschaftliche Beachtung.